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Sunday, September 6, 2020

Eine Box, die es in sich hat - fr.de

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  • Paul Siethoff

    vonPaul Siethoff

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Fabian Kliem und Alexander Cotte wollen mit ihrem Start-up Livingpackets den Versandhandel revolutionieren. Ein Kreislaufsystem soll den Verpackungsmüll drastisch reduzieren und Zeit in der Logistik sparen.

Dass sich Start-up-Gründer als Problemlöser präsentieren, überrascht nicht. Stutzig könnte man werden, wenn ein junges Unternehmen gleich einen ganzen Wirtschaftszweig umkrempeln will. Normalerweise setzen Start-ups im Kleinen an, hoffen, in der Nische etwas bewegen zu können: Sie produzieren Öko-Kondome, entwickeln biologisch abbaubare Kapseln oder entwerfen Bettwäsche aus Eukalyptus-Fasern. Einen anderen Weg geht das deutsch-französische Start-up Livingpackets: „Grenzen setzen wir uns nur selber“, sagt Mitgründer Fabian Kliem.

Kliem, 30, Technikchef bei Livingpackets, hat große Ideen: Gemeinsam mit seinem Mitgründer Alexander Cotte will er den Versandhandel revolutionieren. Und damit nicht genug: Kliem will mit seinem Start-up nicht nur die Logistikbranche auf einen grünen Zukunftskurs bringen, sondern auch eine neue Kreislaufwirtschaft aus dem Boden stampfen.

Aber alles der Reihe nach. Die beiden Gründer passen in das typische Klischee des Tech-Entrepreneurs: Kliem hat verschiedene Studiengänge – Informatik, Pharmazie und Jura – angefangen und abgebrochen, Cotte hat schon mit 16 ein umweltfreundliches Modelabel gegründet. Die Idee für Livingpackets entstand gemeinsam mit Cottes Vater: ein Rucksack, mit dem Produkte von A nach B gebracht werden sollten, als Logistiklösung. Aus dieser Ursprungsidee entwickelten Kliem und Cotte dann Ende 2018 ihr heutiges Produkt: Es heißt „The Box“ und ist eine smarte, mit Elektronik ausgestattete Versandkiste. Sie soll bis zu 1000 Mal wiederverwendbar sein und dadurch Wegwerf-Kartons ersetzen. Der Clou: Die Box bleibt nicht beim Kunden, sondern kommt durch ein Kreislaufsystem wieder zurück zum Logistiker.

Das Problem, das Livingpackets damit lösen will, liegt auf der Hand: Allein die Deutsche Post, zu der auch DHL gehört, hat im Jahr 2019 fast 1,6 Milliarden Pakete von A nach B gebracht. Macht: 1,6 Milliarden Mal Verpackungsmüll – denn der Versandhandel in Deutschland ist keine Kreislaufwirtschaft, die Kartons landen meist im Abfall. „The Box“, die aus geschäumtem Polypropylen besteht, ist hingegen wiederverwendbar und braucht kein Füllmaterial, denn im Inneren der Kiste hält ein Netz das beförderte Gut an Ort und Stelle.

Fabian Kliem, Technikchef von Livingpackets, will eine Kreislaufwirtschaft etablieren.

© privat

Das Interesse an der Versandbox sei groß, sagt Kliem. Das Start-up arbeitet bereits mit Cdiscount zusammen, neben Amazon der größte Online-Versandhändler in Frankreich. In Deutschland will Livingpackets bald eine Kooperation mit einem großen Versandhaus bekannt geben. Auch die Deutsche-Post-Tochter DHL scheint interessiert an dem Produkt – sie führt die Versandkiste in ihrem aktuellen Trend-Report mit dem Namen „Rethinking Packaging“ auf.

Seit Kliem und seine Kollegen ihre „Box“ 2019 auf der CES in Las Vegas, eine der weltweit größten Fachmessen für Unterhaltungselektronik, vorgestellt haben, sprechen sie auch mit Interessenten aus Asien und den USA. Mit Cdiscount haben sie bereits einen Prototypen der Versandbox getestet: „Dabei haben wir die Zeit, die ein Logistiker braucht, um eine Sendung zu verpacken und loszuschicken, um über 60 Prozent reduziert“, sagt Kliem.

Allein sind die Gründer mit ihrer Idee nicht: Auch das finnische Start-up Repack experimentiert aktuell mit einer wiederverwendbaren Versandbox. Diese sei laut Kliem aber nur 20 Mal wiederverwendbar – aus ökologischer Perspektive ein Nachteil.

Kliem, der gerne von „Effizienzen“ und „optimieren“ spricht, sieht noch weitere Vorteile der modernen Versandbox gegenüber dem herkömmlichen Karton. Dadurch, dass die Box von Livingpackets einen GPS-Sender hat, können Kunde und Händler immer nachvollziehen, wo sich die Lieferung befindet. Da so die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein Paket verloren geht – was im Versandhandel nicht selten vorkommt –, spart ein E-Commercler wie Amazon an Versicherungskosten.

Die Livingpackets-Gründer haben aber auch ein idealistisches Anliegen: Sie wollen die Kreislaufwirtschaft fördern. Dafür soll die Versandbox des Start-ups auch im sogenannten Re-Commerce zum Einsatz kommen. Re-Commerce-Unternehmen wie beispielsweise Rebuy kaufen Elektronik wie gebrauchte Smartphones auf, bereiten diese auf und verkaufen sie dann wieder. Durch „The Box“ sollen mehr Menschen dazu motiviert werden, alte, aber noch funktionierende Produkte zu verkaufen.

Kliem erklärt, wie das für den Kunden aussehen könnte: Wenn der Kunde ein neues Handy kauft, kriegt er dieses mit der Box geschickt. Er kann dann die Daten seines alten Handys auf das neue Smartphone übertragen und anschließend das gebrauchte Handy mit derselben Box an den Re-Commercler zurückschicken.

Genau dieser Aspekt könnte aber auch zur Belastungsprobe für das Start-up werden: Das System von sich im Umlauf befindenden Boxen funktioniert nur, wenn der Endkunde die Box zurückgibt. Kliem hat mehrere Ideen, wie das klappen könnte: Entweder der Kunde bringt die Box zur Postfiliale oder er stellt sie vor der Tür ab, damit der Postbote sie mitnehmen kann. Kliem glaubt aber auch, dass sich im Versandhandel langfristig ein Point-to-Point-System durchsetzen wird, das man schon von den DHL-Packstationen kennt: Die Pakete werden nur noch an Verteilungspunkte geliefert, aber nicht mehr zum Endkunden. Offen bleibt die Frage, ob sich die verschiedenen Rückgabe-Konzepte in der Praxis durchsetzen werden.

Livingpackets will aber auch für eine moderne Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien stehen, in der „alle Mitarbeiter an der Wertschöpfung teilhaben“, wie Kliem es ausdrückt. Alle Angestellten des Start-ups, das in der Schweiz als Aktiengesellschaft eingetragen ist, haben Gründeraktien und damit Unternehmensanteile bekommen: Geht die Rechnung von Livingpackets auf, wachsen also Umsatz, Gewinn und Wert des Unternehmens, dann profitieren die Angestellten auch monetär von dem Erfolg des Start-ups.

Kliems und Cottes Zukunftsvision für Livingpackets ist klar: „Momentan sind weltweit 100 Milliarden Wegwerfverpackungen im Umlauf. Unser Ziel ist es, diese in den nächsten fünf bis zehn Jahren durch 1,5 Milliarden Boxen zu ersetzen.“ Und damit eine neue Kreislaufwirtschaft zu schaffen, die weniger Müll, weniger Plastik und weniger CO2 verursacht. Von diesem Traum ist das Unternehmen noch weit entfernt. Das nächste Etappenziel ist erst einmal der Start der Massenproduktion von „The Box“. Damit will Livingpackets noch im Winter beginnen.




September 06, 2020 at 11:44PM
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